Ich gestehe: Ich war ein echter Fan von Twitter. Kurz und knackig Neuigkeiten als Kondensat – meist mit einem Link zum Weiterlesen und Vertiefen. Klasse! Aber: Twitter ist nicht mehr das, was es einmal war. Jetzt nur noch: Ein Satz mit X.
Ich weiß. Viele fanden Twitter viel zu unübersichtlich. Verwirrend. Ein News overload. Chaos!
Ja, man musste diverse Filter nutzen, Listen anlegen, interessanten Accounts folgen, bestimmte Accounts notfalls blocken. Die Algorithmen spülten dann recht passgenau hochinteressante Informationen an die Oberfläche. Einige meiner Lieblingstweets habe ich hier gern geteilt.
Es ging nicht nur um harte Nachrichten, um das, was gerade in der Welt passierte. Hinweise auf Hintergrundinformationen und weniger bekannte Menschen mit hoher fachlicher Expertise erschlossen Wissenswelten und legten eine Spur zu Gleichgesinnten. Humor, Sarkasmus und gepfefferte Kommentare gaben der Lektüre den richtigen Pfiff. Mit Fremden wurde fachlicher Austausch möglich. Reichlich gab’s Ermutigung aus dem Endgerät. All dies machte den Mix aus.
Twitter setzte eine gewisse Lesekompetenz voraus, weil die kleinen Info-Häppchen schnell eingeordnet werden mussten – und Twitter zog dadurch ein höher gebildetes Publikum an.
Und jetzt? Ein Satz mit X: Das war wohl nix. Das kleine blaue Vögelchen, das munter über alles Weltbewegende zwitscherte, ist auf und davon. Unter dem schwarzen X wird nun wie auf Facebook „gepostet“ und „repostet“. Die Länge ist nicht mehr auf 140 oder 280 Zeichen begrenzt. Die organische Reichweite ist offenbar heruntergeregelt. Als markierte „Mitteilungen“ werden nicht mehr persönliche Erwähnungen eingespielt (die früher @NAME persönlich addressiert wurden), sondern irgendwelche Postings von irgendwelchen Menschen, die nicht einmal Follower sein müssen. Gefühlt jeder dritte Beitrag ist Werbung („gesponsert“). Und in der Timeline tauchen vermehrt spektakuläre Aussagen besonders zu den üblichen Aufreger-Themen auf, die sich fast immer bei näherem Hinsehen als „heiße Luft“ erweisen.
Die gut erträgliche Leichtigkeit von Twitter ist dahin.
Lieblingstweets gibt es daher nicht mehr. Wie sollte ich sie auch nennen? Lieblings-X’s?
(Und was erscheint unter diesem Text? Der Button mit dem blauen Vögelchen… Die große Geschichte ist eben doch noch nicht ganz ausge-X-t.)